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X-Inaktivierung und genetische Defekte
 
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Kuina



Anmeldungsdatum: 07.07.2015
Beiträge: 6

BeitragVerfasst am: 07. Jul 2015 21:47    Titel: X-Inaktivierung und genetische Defekte Antworten mit Zitat

Guten Tag,

ich habe heute etwas über die X-Inaktivierung gelesen, also den Umstand, dass bei Frauen eines der X-Chromosomen aus kompensatiorischen Gründen inaktiv wird.

Davor habe ich aber auch etwas über Krankheiten, die durch Defekte auf den X-Chromosomen ausgelöst werden, gelesen, mit der Konklusion, dass dies erklärt, warum manche Defekte und Krankheiten bei Männern häufiger zu finden sind. (Beispiel Rot-Grün-Blindheit)

Daraufhin haben sich mir jedoch einige Fragen aufgedrängt. (Ich nehme schon einmal vorweg, das meine Wissensquelle nur Wikipedia war...)

1. Die X-Inaktivierung geschieht laut Wiki sehr früh in der embryonalen Phase. Außerdem wird das betroffene X-Chromosom ein Leben lang deaktiviert. Aktiv bleiben nur die pseudoautosomalen Gene (also jene, die auf X- und Y-Chromosom vorkommen?) und das Xist-Gen.

Laut Wiki heißt es aber auch, dass z.B. bei der RG-Blindheit das defekte Gen rezessiv ist und durch das dominante, heile überdeckt wird (bei der Frau), was bedeutet, das beide Gene aktiv sind(?).

Ich verstehe aber nicht, wie das zusammenpasst. Wie kann das eine X-Chromosom so etwas ausgleichen, wenn es schon so früh deaktiviert wird und nicht mehr aktiv wird?

Ich hätte eher vermutet, dass es eine größere Chance auf das heile Gen gibt, da ja so zu sagen eine 50-50-Chance besteht, welches Gen deaktiviert wird und wenn frau Glück hat, das Gen getroffen wird, welches den Defekt nicht trägt.

Nun liege ich damit ja eindeutig falsch, aber ich würde gerne verstehen, warum das so ist.


2. Was bedeutet eigentlich "defektes" Gen? Ich frage deshalb, weil ich mich gewundert hat, wie der Organismus bestimmt, wann ein Gen defekt ist.
Bedeutet das einfach nur der Ausfall eines Gens? Das würde mir einleuchten, da dann klar ist, dass bei keiner Aktivität diese durch das Kompensationsgen ersetzt wird.

Oder bedeutet defekt, ein bestimmtes Aktivitätsmuster? Dann würde sich mir aber die Frage stellen, ob jedes andere Aktivitätsmuster schlecht ist.
Es gibt ja die These, dass die Intelligenz bei den Geschlechtern unterschiedlich gestreut ist, bei Männern mehr zu den Extremen hin. Ursache sollen die Gene sein, d.h. es gibt auf dem X-Chromosom Gene, die, wenn "defekt", geistige Unter- oder Überentwicklung verusrachen.
Das würde bedeuten, dass Gene, die andersartig aktiv sind und intelligenter machen bei Frauen auch "kompensiert" werden, obwohl der Effekt ja eigentlich ein sehr positiver ist. Dadurch wird das Genmaterial ja eigentlich nicht "kompensiert" sondern verschlechtert. Das erscheint mir evolutionär betrachtet aber nicht sehr sinnvoll...
(Die These gefällt mir sowieso nicht sehr, aber ich kenne mich nicht genug aus, um zu bewerten, ob man sie disputieren kann.)


Entschuldigung für den langen Post und danke für's Lesen


Viele Grüße
Firelion



Anmeldungsdatum: 27.08.2009
Beiträge: 1878

BeitragVerfasst am: 07. Jul 2015 23:37    Titel: Antworten mit Zitat

Hi,

ein defektes Gen bzw Allel ist ein Gen, das kein funktionstüchtiges Genprodukt codiert.
Frauen haben ein geringeres Risiko an X chromosomal rezessiven Erbgängen zu erkranken ist trotzdemgeringer als bei Männern, da für jede Zelle zufällig entschieden wird welches X inaktiviert wird. Das heißt das statistisch gesehen in 50% der Zellen des Organs/Gewebe das funktionstüchtige Allel aktiv ist. Diese 50% der Zellen reichen aus um gesund zu bleiben.

Bei einer autosomal rezessiven Krabkheit gibt es bei hetereozygoten auch nur 1 funktionierendes Allel also wird auch weniger Genprodukt hergestellt. Da dies ausreicht bleibt man gesund.


Ist dies nicht der Fall handelt es sich um eine dominant vererbte Krankheit.


LG Firelion

_________________
It is well known that a vital ingredient of success is not knowing that what you’re attempting can’t be done - Terry Pratchett
Hedera



Anmeldungsdatum: 08.03.2011
Beiträge: 657

BeitragVerfasst am: 08. Jul 2015 09:45    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Frauen haben ein geringeres Risiko an X chromosomal rezessiven Erbgängen zu erkranken ist trotzdemgeringer als bei Männern, da für jede Zelle zufällig entschieden wird welches X inaktiviert wird. Das heißt das statistisch gesehen in 50% der Zellen des Organs/Gewebe das funktionstüchtige Allel aktiv ist. Diese 50% der Zellen reichen aus um gesund zu bleiben.


Das stimmt nicht ganz. Die Inaktivierung vom X-Chromosom finden in der frühen embryonal Entwicklung statt und ist dort für jede Zelle "unabhängig". Hier muss man jedoch beachten, dass die Inaktivierung doch eher spät stattfindet. Ich weiß nicht mehr genau wann, aber sagen wir mal im 32 Zell-Stadium. Hierdurch kommen dann auch sogenannte Mosaik-Erkrankungen zu standen, da einige Zellen "gesund" und andere "krank" sind und dieses an die Tochterzellen weitergeben.
Was die rein zufällige Inaktivierung betrifft ist das nicht ganz korrekt. Ich weiß nicht wie, aber es ist so, dass mit höherer Wahrscheinlichkeit das Chromosom inaktiviert wird, welches das defekte Gen besitzt. Nur so kann man sich erklären, weshalb x-chromosomal rezessive Erkranungen quasi nie bei Frauen eintreten sofern sie nicht homozygot sind.
Kuina



Anmeldungsdatum: 07.07.2015
Beiträge: 6

BeitragVerfasst am: 08. Jul 2015 11:33    Titel: Antworten mit Zitat

Vielen Dank für eure Antworten. Ich hatte nicht gewusst, dass die Auswahl, welches Chromosom deaktiviert wird, für jede Zelle neu getroffen wird, sondern in jeder das gleiche Chromosom abgeschaltet wird.

Danke auch nochmal für die Klärung, dass anscheinend überzufällig oft das Chromosom mit dem defekten Gen deaktiviert wird.
Bei einer reinen 50%-Chance hätte ich ansonsten nämlich gefragt, ob in ganz ungünstigen Fällen manche Frauen das Pech haben, dass durch Zufall mehrheitlich das intakte Chromosom deaktiviert wird (anstatt eines Abschaltens über beide Chromosomen ausgeglichen verteilt). Sodass dann eine Frau, die nicht auf beiden X einen Gendefekt an der gleichen Stelle hat, trotzdem durch diesen Zufall die Krankheit erwirbt.

Viele Grüße
jörg



Anmeldungsdatum: 12.12.2010
Beiträge: 2107
Wohnort: Bückeburg

BeitragVerfasst am: 08. Jul 2015 13:42    Titel: Antworten mit Zitat

Hedera hat Folgendes geschrieben:
Ich weiß nicht wie, aber es ist so, dass mit höherer Wahrscheinlichkeit das Chromosom inaktiviert wird, welches das defekte Gen besitzt. Nur so kann man sich erklären, weshalb x-chromosomal rezessive Erkranungen quasi nie bei Frauen eintreten sofern sie nicht homozygot sind.


Bei Neugeborenen findet sich noch mehr oder weniger eine Gleichverteilung der X-Inaktivierung, während sich bei erwachsenen Frauen zunehmend eine Ungleichveteilung der X-Inaktivierung nachweisen lässt. Das könnte neben der "Mosaik-Hypothese" zum einen daran liegen, dass es sich bei der X-Inaktivierung nicht um einen irreversiblen Prozess handelt (tatsächlich gibt es Daten, die die Möglichkeit eröffnen, dass der Prozess umkehrbar ist), zum Zweiten ist ein X-Chromosom nicht vollständig inaktiviert und zum dritten scheint es zumindest bei der X-gebundenen mentalen Retardierung (ich glaube, darauf hast du angespielt) Selektionsnachteile für die Zelle mit dem "defekten" X-Chromosom zu geben.
Aber das heisst nicht, dass dieser Selektionsnachteil auf Zellebene für jede beliebige Erkrankung gilt.

Kuina hat Folgendes geschrieben:
Bei einer reinen 50%-Chance hätte ich ansonsten nämlich gefragt, ob in ganz ungünstigen Fällen manche Frauen das Pech haben, dass durch Zufall mehrheitlich das intakte Chromosom deaktiviert wird (anstatt eines Abschaltens über beide Chromosomen ausgeglichen verteilt). Sodass dann eine Frau, die nicht auf beiden X einen Gendefekt an der gleichen Stelle hat, trotzdem durch diesen Zufall die Krankheit erwirbt.


Tatsächlich gibt es das, ist allerdings extrem selten. Bei der Rot-Grün-Blindheit z.B. konnte man nun keine signifikante Ungleichverteilung der X-Inaktivierung zeigen und tatsächlich gibt es heterozygote Frauen, bei denen das Rot-Grün-Unterscheidungsvermögen eingeschränkt ist. Man kann hier nicht von "Rot-Grün-Blindheit" sprechen, da für das ausreichende Farbensehen anscheinend das Mosaik von statistisch 50% der Zellen mit korrekter Rezeptorenverteilung ausreichend ist. Aber wenn die Frau extrem viel Pech hätte, wäre es hier theoretisch auch möglich, an einer X-chromosomal rezessiven Erkrankung zu leiden, wobei die Wahrscheinlichkeit extrem gering ist. Natürlich ist es auch möglich, dass beim Roulette 132.000.000mal hintereinander "rot" fällt, doch wie wahrscheinlich ist das?
Genauso wäre es theoretisch möglich, an einer X-chromosomal dominanten Erkrankung nicht zu leiden.

_________________
RNA?- just another nucleic acid?
Kuina



Anmeldungsdatum: 07.07.2015
Beiträge: 6

BeitragVerfasst am: 08. Jul 2015 16:55    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Jörg, vielen Dank für deine Antwort.
Zitat:

Bei Neugeborenen findet sich noch mehr oder weniger eine Gleichverteilung der X-Inaktivierung, während sich bei erwachsenen Frauen zunehmend eine Ungleichveteilung der X-Inaktivierung nachweisen lässt. Das könnte neben der "Mosaik-Hypothese" zum einen daran liegen, dass es sich bei der X-Inaktivierung nicht um einen irreversiblen Prozess handelt (tatsächlich gibt es Daten, die die Möglichkeit eröffnen, dass der Prozess umkehrbar ist), zum Zweiten ist ein X-Chromosom nicht vollständig inaktiviert und zum dritten scheint es zumindest bei der X-gebundenen mentalen Retardierung (ich glaube, darauf hast du angespielt) Selektionsnachteile für die Zelle mit dem "defekten" X-Chromosom zu geben.
Aber das heisst nicht, dass dieser Selektionsnachteil auf Zellebene für jede beliebige Erkrankung gilt.


Tatsächlich? Das klingt sehr interessant. Unter welchen Umständen ist die Inaktivierung denn reversibel? Und wenn die Verteilung ungleich ist, nehme ich an, dass sie zielgerichtet stattfindet?

Wenn du sagst, dass nicht das ganze Chromosom deaktiviert wird, beziehst du dich dann auf die pseudoautosomalen Gene oder noch auch etwas anderes?

Ja, auf die mentale Retardierung hatte ich angespielt, aber auch auf den Gegeneffekt, nämlich gesteigerte Intelligenz.

Über diesen Ansatz erklären einige Forscher ja die Geschlechterungleichheit in den höheren IQ-Bereichen.
Das hat mich dann deshalb gewundert, weil demnach diese Intelligenzsteigerung (unabhängig von einer begleitenden neuronalen Einschränkung, da hohe Intelligenz ja auch ohne negative Begleitkrankheiten auftreten kann) demnach vom Körper in gewisser Form als "Störung" wahrgenommen wird, die es zu korrigieren gilt.

Ich habe mal vor langer Zeit gelernt (aber kann mich auch irren), dass der Körper im Rahmen der Genexpression Gene "an- und ausschalten" kann.
Daraus habe ich, geschlussfolgert, dass der Normalzustand eines Körpers nicht sein muss, dass jedes Gen zwangsläufig aktiv ist. (Dementsprechend würde auch nicht jedes inaktive Gen automatisch der Korrekturmaschine verfallen.)
Daher dachte ich, dass der Körper unterscheiden kann, wann einem inaktiven Gen Schäden folgen (z.B. Retardierung, RG-Schwäche) und wann nicht.
Aber anscheinend ist dies nicht der Fall?


Entschuldigt die vielen Fragen, aber ich finde das Thema sehr interessant, während ich gleichzeitig keine Ahnung habe. Ungünstige Kombo.
jörg



Anmeldungsdatum: 12.12.2010
Beiträge: 2107
Wohnort: Bückeburg

BeitragVerfasst am: 08. Jul 2015 17:57    Titel: Antworten mit Zitat

Kuina hat Folgendes geschrieben:
Unter welchen Umständen ist die Inaktivierung denn reversibel? Und wenn die Verteilung ungleich ist, nehme ich an, dass sie zielgerichtet stattfindet?


Das ist noch nicht genau verstanden, man nimmt aber an, dass es dann auftritt, wenn die Zelle einen Selektionsnachteil gegenüber den anderen Zellen hat. Da gibt es dann verschiedene Möglichkeiten:
(1) sie teilt sich nicht so oft oder geht gar zugrunde, das führt dann im Erwachsenenalter zu einer verminderten Anzahl dieser Zellen
(2) durch günstiges Crossing-over in einer oder mehrerer Mitosen verliert sie ihren Nacheil irgendwann zumindest teilweise und kann sich wieder "normal" teilen bzw. geht nicht zugrunde.
(3) sie inaktiviert einzelne Bereiche des anderen X-Chromosoms. In Keimzellen ist das ja uneingeschränkt möglich, die Inaktivierung aufzuheben, aber auch andere Stammzellen scheinen das zumindest teilweise zu können. Das ist aber nicht sehr gut belegt und hat eher den Charakter einer Hypothese.

Kuina hat Folgendes geschrieben:
Wenn du sagst, dass nicht das ganze Chromosom deaktiviert wird, beziehst du dich dann auf die pseudoautosomalen Gene oder noch auch etwas anderes?


Ja, vor allem auf die.
Es gibt aber auch das Phänomen, dass eine Frau zwei X-chromosomal rezessiv veerbbare Erkrankungen auf zwei verschiedenen X-Chromosomen trägt und an keiner von beiden erkrankt (wenn ich mich recht erinnere, war eine eine Hämophilie).

Kuina hat Folgendes geschrieben:
Ich habe mal vor langer Zeit gelernt (aber kann mich auch irren), dass der Körper im Rahmen der Genexpression Gene "an- und ausschalten" kann.


Das stimmt. Das hat etwas mit Chromatin-Organisation, Histon-Methylierung und -Acetylierung usw. zu tun, man nennt den gesamten Bereich Epigenetik.

Kuina hat Folgendes geschrieben:
Daraus habe ich, geschlussfolgert, dass der Normalzustand eines Körpers nicht sein muss, dass jedes Gen zwangsläufig aktiv ist. (Dementsprechend würde auch nicht jedes inaktive Gen automatisch der Korrekturmaschine verfallen.)


Die DNA-Korrekturmaschinerie erkennt keinen Gendefekt, wie wir ihn hier bezeichnen, denn die DNA ist dabei strukturell völlig intakt (es handelt sich ja um Mutationen, die, zumindest wenn größere Bereiche betroffen sind wie bei Insertionen oder Deletionen auf DNA-Ebene ja bereits repariert sind. Punktmutationen führen zu gar keinem erkennbaren Fehler für die Reparaturmaschinerie) Die Reparaturmaschinerie repariert z.B. Strangbrüche u.a.


Kuina hat Folgendes geschrieben:
Daher dachte ich, dass der Körper unterscheiden kann, wann einem inaktiven Gen Schäden folgen (z.B. Retardierung, RG-Schwäche) und wann nicht.
Aber anscheinend ist dies nicht der Fall?


Wie oben gesagt, solange es keinen Selektionsnachteil der betroffenen Zelle gibt, ist das völlig schnuppe.

Theoretisch könnte auch eine heterozygote Frau eine Rot-grün-Sehschwäche haben, da diese Rekombination keinen Selektionsnachteil auf zellulärer Ebene bedeutet.

_________________
RNA?- just another nucleic acid?
Kuina



Anmeldungsdatum: 07.07.2015
Beiträge: 6

BeitragVerfasst am: 09. Jul 2015 21:58    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Jörg,

vielen Dank. Das macht es verständlich für mich.


Wenn Zellen mit geschädigten X-Chromosomen, die zu mentaler Retardierung führen, einen Selektionsnachteil haben, hieße das im Umkehrschluss, dass X-Chromosome mit stark intelligenzfördernden Genen (Hochbegabtenbereich + beyond) ebenfalls zu einem Selektionsnachteil einer Zelle führen, sodass solche X-Chromosome zugunsten des anderen deaktiviert werden?
jörg



Anmeldungsdatum: 12.12.2010
Beiträge: 2107
Wohnort: Bückeburg

BeitragVerfasst am: 10. Jul 2015 11:27    Titel: Antworten mit Zitat

Nein, dieser Umkehrschluss ist nicht zulässig. Reduzieren wir die Argumentation mal auf ein einzelnes Gen: Wenn eine Mutation in einem Gen, wie z.B. eine loss-of-function-Mutation einen Selektionsnachteil hätte, kann man daraus weder schlussfolgern, dass eine gain-of-function-Mutation in demselben Gen auch einen Selektionsnachteil hat, noch, dass sie einen Selektionsvorteil bedeutet. Auch eine neutrale Mutation bezüglich des Selektionsverhaltens wäre denkbar.
Dabei dürfen wir aber keineswegs den zellulären Phänotypen mit dem Makrophänotypen des gesamten Individuums verwechseln. Wenn auf zellulärer Ebene ein Selektionsvorteil besteht, heisst das nicht, dass das Individuum auch einen Selektionsvorteil davon hat. Ein schönes Beispiel dafür im generellen wäre Krebs: Die Krebszellen können gut proliferieren und haben somit in gewissem Sinne einen Selektionsvorteil gegenüber anderen Zellen desselben Gewebes, das Individuum jedoch stirbt und kann sich nicht mehr fortpflanzen.

Es könnte also, bezieht man das auf die X-Inaktivierung, eine Zelle mit einem bestimmten inaktivierten X-Chromosom einen Selektionsvorteil gegenüber den anderen Zellen haben, das Individuum jedoch hat dadurch einen Nachteil, ebenso könnte es sein, dass eine entsprechende Zelle einen Selektionsnachteil hat, das Individuum jedoch profitierte von der Eigenschaft (nur leider kann sie sich aufgrund des zellülären Selektionsnachteiles nicht entfalten) und jeweils andersherum. Ebenso könnten neutrale Mutationen bezüglich des Selektionsverhaltens auf zelllärer Ebene für das Individuum als Ganzes einen Vor- oder Nachteil bedeuten, je nachdem.

Auf gar keinen Fall kann man aber schlussfolgern, dass, wenn eine gewisse Konstellation einen gewissen zellulären "Selektionsphänotypen" zeigt, dass dann Konstellationen, die für das Individuum das Gegenteil bedeuteten, entsprechende Vor- oder Nachteile auf zellulärer Ebene haben.

_________________
RNA?- just another nucleic acid?
Kuina



Anmeldungsdatum: 07.07.2015
Beiträge: 6

BeitragVerfasst am: 11. Jul 2015 13:48    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Jörg,

vielen Dank für die Klärung. Ich hatte unterschätzt, wie Komplex diese Angelegenheit ist.

Hat denn bei (X-)Chromosomen mit Genen, die einen Intelligenzvorteil oder z.B. sog. savantartige Eigenschaften ermöglichen irgendwelche Kenntnisse bezüglich des Selektionsvor- oder Nachteils, der durch sie in den Zellen verursacht wird?

Würde es sich bei den Ursachen von solchen Fähigkeiten auch eher um Gendefekte (also Ausfälle) oder Mutationen handeln, die sochle Gehirnleistungen ermöglichen?
jörg



Anmeldungsdatum: 12.12.2010
Beiträge: 2107
Wohnort: Bückeburg

BeitragVerfasst am: 13. Jul 2015 17:14    Titel: Antworten mit Zitat

Kuina hat Folgendes geschrieben:
Hat denn bei (X-)Chromosomen mit Genen, die einen Intelligenzvorteil oder z.B. sog. savantartige Eigenschaften ermöglichen irgendwelche Kenntnisse bezüglich des Selektionsvor- oder Nachteils, der durch sie in den Zellen verursacht wird?


Einzelne intellektuelle Leistungen korrellieren nicht mit der "Überlebenswahrscheinlichkeit" oder der "Reproduktionskapazität" einer Stammzelle. Bei der X-chromosomalen mentalen Retardierung ist der zelluläre Selektionsnachteil auf die gleiche chromosomale Störung zurückzuführen wie die Retardierung, z.B. ein fragiles-X-Syndrom. Hier kommt es durch eine Trinukleotidexpansion zu epigenetischen Phänomenen, die letztendlich in einer Unterrepräsentation verschiedener Proteine resultiert. Diese Unterrepräsentation beeinflusst auf der einen Seite den zellulären Stoffwechsel (zellulärer Selektionsnachteil) und führt auf der anderen Seite zu einer Atrophie u.a. der Nervenzellen.

Interessanterweise findest du hier auch die oben besprochenen Phänomene:
- Nicht alle betroffenen Männer erkranken
- Auch heterozygote Frauen können betroffen sein

Kuina hat Folgendes geschrieben:
Würde es sich bei den Ursachen von solchen Fähigkeiten auch eher um Gendefekte (also Ausfälle) oder Mutationen handeln, die sochle Gehirnleistungen ermöglichen?


Allem, worüber wir hier sprechen, liegen Mutationen zugrunde. Einem Gendefekt liegen eine oder mehrere Mutationen zugrunde

_________________
RNA?- just another nucleic acid?
Kuina



Anmeldungsdatum: 07.07.2015
Beiträge: 6

BeitragVerfasst am: 27. Jul 2015 11:35    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Jörg, entschuldige die späte Antwort, aber ich war in Urlaub.

Vielen Dank für die ausführlichen Erläuterungen zu all meinen Fragen!
Sie waren sehr interessant für mich.

Viele Grüße
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